Der Body-Mass-Index (BMI) gilt als Standard zur Beurteilung von Körpergewicht und Gesundheit – doch das ist problematisch. Der Index war nie dafür gedacht, individuelle Gesundheit zu messen. Trotzdem wird er in Medizin und Gesellschaft oft als Maßstab verwendet. Besonders für BIPoC (=Black People, Indigenous People and People of Colour), Frauen und nicht-männliche Personen hat der BMI negative Folgen. Er verstärkt Fettfeindlichkeit, pathologisiert größere Körper und ignoriert wichtige gesundheitliche Faktoren.
Der BMI wurde im 19. Jahrhundert von dem belgischen Mathematiker Adolphe Quetelet entwickelt. Quetelet war Statistiker - kein Mediziner - und hat im Bereich der Moral- und Sozialstatistik geforscht. Das Ziel der Sozialstatistik ist, durch Statistik - also mathematische Beobachtungen - zu erkennen, wie der “Durchschnittmensch” sich in bestimmten Situationen verhält. Quetelets Idee war es, eine Durchschnittsform zu berechnen, um gesellschaftliche Normen zu definieren. Dabei ging es eben um genau das: eine Durchschnittsgesellschaft, keine Formel, die als Maß für individuelle Gesundheit dient. Die Formel, die Quetelet entwickelte, ist heute als BMI (=body mass index) bekannt und errechnet sich aus Körpergewicht (in kg) geteilt durch Körpergröße (in m) zum Quadrat.
Als Grundlage für diese Formel dienten ihm ausschließlich weiße Männer (genauer: Französische und Schottische Soldaten). Der BMI, damals noch Quetelet Index, sollte also die Norm abbilden, schloss jedoch große Teile der Bevölkerung aus (darunter BIPOC, Frauen*, Kinder, Menschen mit Behinderung).
Der Quetelet Index wurde im weiteren Verlauf durch Francis Galton beeinflusst. Hier braucht es einen kurzen Exkurs: Francis Galton vertrat die Ansicht des Sozialdarwinismus, also die Ansicht, dass “das Recht des Stärkeren” gewinnt. Er prägte den Begriff “Eugenik”, auf dessen Grundlage rassistische und eugenische Ideologien entstanden, die später von den Nationalsozialisten genutzt wurden und auch zu den 1932 erlassenen Zwangssterilisationsgesetzen in den USA für psychisch Kranke führten. Heutzutage ist Sozialdarwinismus laut der Bundeszentrale für politische Bildung “Kernelement des Rechtsextremismus” und diskriminiert und gefährdet Minderheiten.
Francis Galton übernahm Quetelets Vorstellung einer statistischen Norm und entwickelte Methoden, um “ideale” körperliche und geistige Merkmale zu definieren. Er führte Begriffe wie 'Regression zur Mitte' ein, was bedeutet, dass extreme Merkmale (z. B. sehr große oder sehr kleine Menschen) sich in den nächsten Generationen tendenziell dem Durchschnitt annähern. Für Galton war das aber nicht nur eine neutrale Statistik – er wollte gezielt genetische Merkmale beeinflussen und Menschen mit als “minderwertig” betrachteten Eigenschaften von der Fortpflanzung abhalten.
Die Kombination aus Quetelets Durchschnittsidee und Galtons Eugenik-Gedanken führte dazu, dass körperliche Eigenschaften zunehmend bewertet wurden: Wer nicht in die “Norm” passte, wurde als problematisch angesehen. Das gilt auch für den BMI, der ursprünglich ein rein statistisches Konzept war, später aber zum Maßstab für Gesundheit und Körperbewertung gemacht wurde.
Im 20. Jahrhundert wurde der BMI in den USA von Versicherungen als Berechnungsgrundlage für Versicherungsbeiträge übernommen und erweitert. Da eine Krankenversicherung damals (und heute) in den USA nur von wohlhabenden Personen bezahlt werden konnte, wurden in den Tabellen auch nur die Größe und das Gewicht dieser Gruppe dokumentiert und später von der Medizin übernommen – ohne Anpassung an Geschlecht, Muskelmasse und andere gesundheitliche Faktoren.
Seit den 1980ern wird der BMI verwendet, um Menschen in folgende Kategorien zu unterteilen: Untergewicht, Normalgewicht, Präadipositas (=Übergewicht), Adipositas (=Fettleibigkeit). Dabei wurden die Begrifflichkeit wie folgt definiert: alle Personen, die in das 85.-95. Perzentil fielen, galten als übergewichtig (damals also alle mit einem BMI über 27). Alle Personen, die über das 95. Perzentil fielen, galten als adipös. Diese Kategorien bedeuten also nicht, dass die Personen ungesünder oder krank sind, sondern dass sie - wie Aubrey Gordon treffend formuliert: “fatter than everyone else” sind, also dick*fetter als die meisten Anderen. Im Jahr 1995 wurde der BMI von der WHO als Standard für die Klassifizierung der genannte Kategorien zugrunde gelegt. Daran beteiligt war die “International Obesity Task Force”, welche Übergewicht als Krankheit porträtierte. Finanziert wurde diese Task Force zu zwei Dritteln durch Pharmaunternehmen (Roche, Abbott), die beide Medikamente zur Gewichtsabnahme vertrieben. Im Jahr 1998 wurde der Grenzwert für einen normalen BMI von 27 auf 25 herabgesetzt.
Fettfeindlichkeit ist ein strukturelles Problem, das besonders Frauen, nicht-binäre, trans* und queere Personen betrifft. Studien zeigen, dass Frauen mit höherem BMI häufiger Diskriminierung erfahren – sei es im Gesundheitswesen, am Arbeitsplatz oder in sozialen Kontexten. Schlimmstenfalls kostet es Leben, wenn medizinische Probleme durch Gesundheitspersonal nicht ernst genommen und untersucht werden, weil es dem Übergewicht zugeschrieben wird und der*die Patient*in ohne adäquate Untersuchung und Behandlung nach Hause geschickt wird. Der BMI wird dabei fälschlicherweise oft verwendet, um fettfeindliche Aussagen wissenschaftlich zu legitimieren.
Wir halten fest: Der BMI war nie dazu bestimmt, den Gesundheitszustand von Menschen abzubilden. Er orientiert sich außerdem ausschließlich an weißen Männern und hat keine Aussagekraft darüber, wie gesund ein Mensch ist oder welchen Körperfettanteil er hat. Stattdessen unterstützt er Vorurteile gegenüber marginalisierten Personen und unterstützt explizit Fettfeindlichkeit und Body Shaming.
Gesundheit ist mehr als eine Zahl. Genetik, sozialer Hintergrund, Ernährung, Stress und Bewegung spielen eine Rolle – der BMI tut das nicht. Statt auf einen fehlerhaften Index zu setzen, brauchen wir individuellere und inklusivere Gesundheitskonzepte, die nicht auf Fettfeindlichkeit beruhen. Glücklicherweise gerät der BMI in den letzten Jahren öffentlich immer mehr in die Kritik und es wird nach Alternativen gesucht. Wichtig ist es dabei, nicht nur den BMI als Berechnungsgrundlage zu hinterfragen, sondern sich auch den Vorurteilen zu stellen, die dazu führen, dass viele Menschen in ihren Problemen nicht oder zu spät ernst genommen werden. Es braucht mehr als eine neue Formel um Gesundheit abzubilden und dazu gehört, dass wir (und dazu gehört insbesondere Gesundheitspersonal) uns mit unseren eigenen Vorurteilen auseinandersetzen und kritisch hinterfragen, was krank macht und was nicht. Patient*innen müssen unabhängig ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Geschlechtsidentität und ihrer Körpergröße ernst genommen und adäquat versorgt werden.
✅ Kritisch bleiben: Den BMI hinterfragen und alternative Gesundheitsindikatoren wie Blutwerte, Fitness oder Wohlbefinden einbeziehen.
✅ Fettfeindlichkeit und Rassismus bekämpfen: Bewusstsein für strukturelle Diskriminierung schaffen – in der Medizin, in den Medien und im Alltag.
✅ Gesundheit feministisch denken: Körperliche Vielfalt akzeptieren und fördern, statt unrealistische Normen zu unterstützen.
Der BMI ist nicht nur veraltet, sondern auch schädlich. Er basiert auf überholten, diskriminierenden Normen und trägt dazu bei, dass dicke Menschen – insbesondere mehrfach marginalisierte Gruppen – systematisch benachteiligt werden. Statt uns auf eine Zahl zu fixieren, sollten wir Gesundheit ganzheitlich betrachten und gegen Fettfeindlichkeit kämpfen.